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Wie Martin Luther das Werk der Reformation begann.

Rufe getrost, schone nicht, erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk ihr Übertreten und dem Hause Jakob ihre Sünden.

Jesaja 58,1

Der Ablass. Tetzel. Die 95 Thesen.

Tragt das von dannen und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhause! - Die da meinen, Gottseligkeit sei ein Gewerbe. Tue dich von solchen!

Johannes 2,16; 1. Timotheus 6,5

Mit dem Ruf „Tut Buße“ trat einst die Kirche in die Welt. So predigte Jesus Christus und sein Vorläufer Johannes (Matth. 3,2; 4,17)1. Derselbe Ruf erscholl bei der Erneuerung der christlichen Kirche und eröffnete die Reformation. „Da unser Meister und Herr Jesus Christus spricht: „Tut Buße“ will er, dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete und unaufhörliche Buße sein soll!“ so lautete Dr. Martin Luthers erste von 95 Thesen. Diese Übereinstimmung ist nicht zufällig. Gerade in der Lehre von der Buße, dieser innersten, notwendigsten Voraussetzung des gesamten Christentums, musste sich das Verderben der päpstlichen Kirche, ihre Verweltlichung und Veräußerlichung am deutlichsten zeigen.

Aus der Buße hatte man ein Sakrament gemacht. „Buße tun“ konnte man nur vor dem richtig geweihten Priester der Kirche, der in seiner Weihe die Fähigkeit bekommen hatte, das Sakrament herzustellen. Es hieß: 1. Zerknirschung haben, 2. Die Sünden namentlich in der Ohrenbeichte aufzählen und 3. Die Strafen mit Werken abbüßen. Aus diesen drei Stücken: Zerknirschung des Herzens, Bekenntnis des Mundes, Genugtuung in Werken, bestand das Sakrament. Die Zerknirschung des Herzens war das Wenigste. Man begnügte sich auch mit einer bloßen sogenannten „Anknirschung“. Aber man musste sorgfältig alle Sünden mit dem Mund bekennen, sonst gab es keine Vergebung dafür. Der Priester saß als Richter im Beichtstuhl und bestimmte, welche Büßung und Genugtuung man für diese oder jene Sünde zu leisten hatte. Denn wohl sei die Schuld der Sünde und die ewige Verdammnis durch Christus getilgt, aber nicht die zeitliche Strafe der Sünde. Diese habe der Mensch selbst abzubüßen durch Fasten, Beten, Wallfahrten und dergleichen gute Werke und Kasteiungen des Fleisches, wie sie die Kirche bestimmte, oder in dem sogenannten Fegefeuer nach dem Tod, wenn die Buße hier nicht genügte. In der Macht der Kirche, d.h. des Papstes, stand es dann aber, die schwereren Büßungen in leichtere umzuwandeln, ja, auch ganz zu erlassen. Das konnte er, weil er, so sagte man, über einen Schatz überflüssiger guter Werke verfüge. Dieser Schatz war der überschüssige Verdienst Christi und der Heiligen. Hieraus könne er jemandem für den Mangel seiner Leistung Ersatz spenden. Das nannte man Ablass, d.h. Erlass der Strafe und Büßung. Aber der Papst tat das nicht umsonst. Er brauchte Geld, viel Geld und die Ablass- und Erlassbriefe waren ein hervorragendes Mittel solches zusammenzubringen. Sie halfen auch den Toten im Fegefeuer, und wer hätte sein Geld angesehen, wenn er seinen entschlafenen Lieben des Fegefeuers Qualen erleichtern und abkürzen konnte! Besonders die gemütvollen Deutschen, die es mit ihrer Frömmigkeit noch ernster nahmen als des Papstes nächste Söhne, die Italiener, zahlten gern, und man freute sich in Rom über „die Sünden der Deutschen“, wie man das Ablassgeld nannte. Man lehrte also zwar nicht eigentlich, die Vergebung der Sünden bei Gott werde verkauft, sondern der Erlass der Büßungen und zeitlichen Strafen, aber das Volk fasste es doch so auf. Und unverschämte Ablassprediger taten in gotteslästerlichen Reden das Ihrige, um die Ware möglichst anzupreisen und ihren Kasten zu füllen.

Der bekannteste unter ihnen war Tetzel oder Dietzel, der Sohn eines Goldschmieds aus Leipzig, ein Dominikanermönch und Theologe. Dieser war weniger wegen seiner Gelehrsamkeit und Frömmigkeit, als viel mehr wegen seiner starken Stimme und seiner Kunst, zum gewöhnlichen Volk zu reden, berufen. Er war nicht einmal ein unbescholtener Mensch, denn Kaiser Maximilian hatte ihn schon einmal zur Todesstrafe verurteilt und ihn nur auf Grund der Fürsprache des Kurfürsten Friedrich des Weisen begnadigt. Aber er war brauchbar als Verkäufer und Marktschreier, und so war ihm der Vertrieb der neuesten römischen Gnadenware in Deutschland übertragenworden. Er war von Kurfürst Albrecht, Erzbischof von Mainz, aus dem Hause Hohenzollern, zum Oberkommissar des neuesten päpstlichen Ablasses ernannt worden und bezog als solcher 24 Gulden monatlich. Aber sein Nebenverdienst übertraf dieses Gehalt um das Doppelte.

 

Dr. Martin Luther
Unten: Luther verweigert im Beichtstuhl den auf ihren Ablass pochenden Gläubigen die Absolution. Links: Tetzels Ablasskram – er verbrennt Luthers Schrift. Hauptbild: Luther schlägt die 95 Thesen an. Rechts Die Wittenberger Studenten verbrennen Tetzels Gegensätze.

 

Mit diesem Ablass hatte es folgende Bewandtnis. Der neue Papst Leo X. (1513-1521) war ein sehr pracht- und kunstliebender Mann. Die Kirche und das Christentum waren ihm ziemlich gleichgültig. Er soll sogar von der christlichen Lehre als „der Fabel von Christo“ geredet haben. Aber umso fleißiger förderte er als feingebildeter Mann Kunst und Wissenschaft und verschwendete dafür unglaublich viel Geld. Nun war man in Rom dabei, die große Peterskirche, die noch heute als das prächtigste kirchliche Bauwerk gilt, neu auszuführen und zur Beschaffung der Baukosten war ein neuer Ablass ausgeschrieben. Dieser kam dem Erzbischof Albrecht von Mainz sehr gelegen. Er hatte für das Pallium2, das Abzeichen der erzbischöflichen Würde, das nur der Papst verlieh und zwar für viel Geld, in Rom 30 000 Gulden zahlen müssen. Das war für die damalige Zeit eine enorme Summe und diese musste er von den damaligen Bankiers, den Fuggern in Augsburg ausleihen. Nun drängten ihn seine Gläubiger und so schloss er mit dem Papst ein Geschäft dahin ab, dass er für einen großen Teil von Deutschland den Ablasshandel in Kommission übernahm und dafür sich mit Leo den Raub teilen und die Hälfte des Geldes behalten durfte. Das alles waren bekannte Dinge und so zog Tetzel aus, um Seelen aus dem Fegefeuer zu erretten, Kurfürst Albrechts Schulden zu decken, dem Papst die Peterskirche zu bauen und dabei auch seine eigene Börse gebührend zu berücksichtigen. Das nannte man in Rom „die Schafe Christi weiden!“ So unglaublich war die Kirche gesunken, dass ein solch schmachvoller Handel, solch eine himmelschreiende Entweihung der Religion fast nirgends offenen Widerspruch fand. Manche Fürsten verboten allerdings Tetzel ihr Land zu bereisen und auszusaugen, so auch Friedrich der Weise von Sachsen. Aber sein Allerheiligenstift in Wittenberg besaß selbst das Privileg des Ablasses für Wallfahrer und Besucher seiner zahlreichen Reliquien. Anderswo durfte Tetzel ungestört hausen.

„Die 95 Thesen“

„Die 95 Thesen“

Diskutierende Gelehrte und Mönche, während die Thesen an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt werden.
Holzstich von R. Brend'amour nach Hermann Würz. - (ca. 1860).

In einem schönen Wagen, begleitet von drei Reitern, durchfuhr dieser Bettelmönch das Land. In der Nähe einer Stadt musste ein Gesandter vorausgehen und ankündigen: „Die Gnade Gottes und des heiligen Vaters ist vor den Toren!“ Dann geriet alles in Bewegung. In feierlichem Aufzug gingen Rat und Schulen, Priester und Mönche, die Handwerker mit ihren Fahnen dem Ablasskrämer entgegen, und unter dem Geläut der Glocken zog er ein. Man ging in die Kirche, von Orgelklang empfangen. Vor dem Altar stellte man das große rote Ablasskreuz auf, an das man das Wappen des Papstes hängte. Unter dem Kreuz stand die große eiserne Geldtruhe. Nun ging Tetzel auf die Kanzel und fing an, von der Kraft des Ablasses zu predigen, die er in allen möglichen Wendungen mit den unverschämtesten Ausdrücken anpries. „Das Ablasskreuz sei so mächtig wie Christi Kreuz.“ „Er wolle nicht mit dem heiligen Petrus tauschen, denn er habe mehr Seelen durch seinen Ablass als Jener durch sein Reden gerettet. Er versöhne nicht nur die Lebendigen sondern auch die Toten.“ „Hört eure Eltern und eure anderen Freunde,“ rief er, „die gestorben sind und aus dem Abgrund rufen: Wir leiden schreckliche Qualen; ein kleines Almosen befreit uns; ihr könnt es geben und wollt nicht!“ „Sobald das Goldstück im Kasten klingt, verlässt die Seele das Fegefeuer und fliegt erlöst in den Himmel.“ „Also heran! Heran! Heran!“ das brüllte er schließlich mit Donnerstimme. Dann begann der Handel nach bestimmten Taxen. Eine Sünde kostete mehr als die andere. Auch dem Stande gemäß war der Preis. Der Ehebruch eines Ritters z.B. war teurer als der eines Bauern.

Und so Unglaubliches empörte nicht die Gemüter? Natürlich waren so manche empört, aber man fürchtete den Papst und sein Ketzerfeuer und machte die Faust in der Tasche. Niemand wagte offen den Kampf aufzunehmen, außer Dr. Martin Luther, der Mönch aus Wittenberg. Dorthin waren auch Wittenberger gekommen, die Ablassbriefe gekauft hatten und sie später Luther, der den kränklichen Stadtpfarrer vertrat, im Beichtstuhl vorzeigten. Luther, der jetzt durch die Heilige Schrift und durch seine innere Erfahrung wusste, wie man allein zur Gewissheit der Gnade gelangt, musste ihnen sagen, dass sie ohne wahre, innere Herzensbuße und trotz Ablassbriefe zur Hölle fahren würden. Sie sagten das dem Tetzel wieder. Der wütete und ließ einige Male auf dem Marktplatz ein Feuer anzünden, um zu zeigen, dass er die Macht vom Papst habe alle Ketzer und Gegner des Ablasses zu verbrennen. Luther unterdessen, entsetzt über die Verführung der Seelen, schrieb an seinen Vorgesetzten, den Bischof von Brandenburg, und Albrecht von Mainz, sie sollten dem schändlichen Unfug wehren. Vergebens! Die Hirten der Gemeinde waren Mietlinge (vgl. Johannes 10, 11-15). Da entschloss sich Luther, den Weg einer öffentlichen Disputation zu gehen. Es war unter den Gelehrten damals Sitte, dass sie, wenn sie sich bei einer Sache unsicher waren und zur Klarheit gelangen wollten, Thesen oder Streitsätze aufstellten und jeden aufforderten, mit ihnen mündlich oder schriftlich darüber zu disputieren (diskutieren), um so die Wahrheit heraus zu finden. Das tat nun auch Dr. Luther. Am Tag vor Allerheiligen, den 31. Oktober 1517, schlug er 95 Sätze an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg, die gerade an Allerheiligen selbst Ablass spendete. Diese Sätze trugen den Titel: „Disputation Dr. Martin Luthers zur Erklärung der Kraft der Ablässe.“ Luther stellte in diesen Thesen die innere Herzensbuße und die äußere Buße, wie sie im römischen Bußsakrament gefordert wurde, einander gegenüber und legte auf diese das ganze Gewicht. Den Ablass, wie ihn die ganze Kirche lehrte, wollte er damals noch stehen lassen, aber nur als ein freies, nicht als ein gebotenes Ding. Dabei erklärte er jedoch entschieden, dass der Papst nur solche Strafen erlassen kann, die er selbst und nicht Gott auferlegt hat, und sprach ihm im 22. Satz die Macht ab, die Strafen des Fegefeuers erlassen zu können. Auf das heftigste kritisierte er den schändlichen Missbrauch des Ablasses im Dienst weltlicher Habsucht und sagte im 32. Satz: „Die werden samt ihren Meistern zum Teufel fahren, die vermeinen, durch Ablassbriefe ihrer Seligkeit gewiss zu sein.“ Das war der denkwürdige Anfang der Reformation.

Das Wort war gesprochen, das von dem ganzen Zeitalter ersehnt wurde. Die kühnen Thesen des Wittenberger Mönchs verbreiteten sich in Windeseile über ganz Deutschland, „als ob die Engel Botenläufer gewesen wären“. Auch dafür hatte der Lenker der Weltgeschichte gesorgt, dass das Wort der Reformatoren durch die Buchdruckerkunst, die kurz vorher erfunden worden war3, schnell eine große Verbreitung im Volk fand. „Hoho, der wird’s tun! Er kommt, auf den wir gewartet haben!“ sagte der fromme Prior des Klosters Steinlausig, Dr. Fleck, als er Luthers Thesen las. „Was macht euer Mönch? Wahrlich, seine Thesen sind nicht zu verachten. Der wird mit den Pfaffen ein Spiel anfangen!“ äußerte der alte Kaiser Max zu dem kurfürstlich sächsischen Rath Pfeffinger in Augsburg. – Andere stimmten Luther auch freudig zu, aber sie fürchteten, dass seine Kühnheit gegen Roms Macht und List nicht Bestand haben würde. „Du hast Recht, Bruder Martin, aber es wird dir nicht gelingen!“ rief der Geschichtsschreiber Albrecht Kranz auf dem Sterbebett. „Armer Mönch, geh in deine Zelle und sprich: Gott sei mir gnädig!“ – Luther selbst war zuerst überrascht über das ungeheure Aufsehen, das seine Thesen machten, über den Sturm, den sie erregten, der beste Beweis, wie Gott der Herr selbst ihn in diesen Kampf hineingeführt hatte. Er meinte später selbst, ob er so kühn gewesen wäre, wenn er von vornherein vorausgesehen hätte, was seine Thesen anrichten würden. „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der HERR allein gibt, dass er fortgehe.“ (Sprüche 16,9) Ja, Gott der Herr gab Fortgang trotz Roms Nachstellungen, von denen wir im folgenden Kapitel reden wollen. Er machte Martin Luther immer gewisser in seinem Herzen, dass er auf rechtem Wege war, und ließ ihn immer mehr wachsen in evangelischer Erkenntnis. Ohne eine solche felsenfeste innere Gewissheit hätte er den großen Kampf nicht kämpfen können, in dem er allein gegen die ganze damalige Kirche stand und allem, was zu der Zeit groß, mächtig, weise und gelehrt war, sein in Gottes Wort gebundenes und fest gewordenes Gewissen entgegensetzte.

 


Inhalt

Wie Martin Luther von Gott zum Reformator der Kirche vorbereitet wurde.
Elternhaus. Geburt. Jugenderziehung.
Eintritt in das Kloster in Erfurt.
Durchbruch zur evangelischen Heilserkenntnis und Übersiedlung nach Wittenberg.
Reise nach Rom. 1511.
Wie Martin Luther das Werk der Reformation begann.
Der Ablass. Tetzel. Die 95 Thesen.
Römische Nachstellungen. Cajetan. Miltitz.
Drei Zeugnisse vom Evangelium gegen Rom.
Im Bann des Papstes.
Der Reichstag zu Worms.
Wie Martin Luther die Reformation der Kirche in den rechten Bahnen erhielt und weiterführte.
Auf der Wartburg.
Die Schwärmer in Wittenberg und der Aufstand der Bauern.
Luther tritt in die Ehe ein.
Der Reichstag in Augsburg (1530) und Luther auf der Coburg.
Der Tag zu Schmalkalden, 1537.
Martin Luther als Lehrer und Vorbild.
Luther, der treue Untertan weltlicher Obrigkeit.
Luther, der Bibelübersetzer und Volksschriftsteller.
Luther, der Sänger und Liederdichter.
Luther, der Freund der Schule.
Luther, der Hausvater und Christ in Freud und Leid.
Wie Martin Luther selig in dem Herrn heim ging.

Anmerkungen

  1. Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! (Matth. 3,2); Von der Zeit an fing Jesus an, zu predigen und zu sagen: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! (Matth. 4,17)
  2. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Pallium
  3. Johannes Gutenberg erfand ca. 1450 den Buchdruck mit  beweglichen Lettern.

Quelle

Ernst Haack (1883)
Dr. Martin Luthers Leben und Wirken.
Motto: Gottes Wort und Luthers Lehr‘ vergehen nun und nimmermehr. Eine Preisschrift, gekrönt und herausgegeben zum 10. November 1883, dem 400 jährigen Geburtstag des großen Reformators, vom Evangelischen Preßverein in Schlesien.
Breslau, 1883. In Commission bei C. Dülfer
 
Gustav König (Bild um 1900)
Dr. Martin Luther der deutsche Reformator in bildlichen Darstellungen
Verlag von Keuther & Reichard, vermutlich um 1900
 

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